"Der gläserne Mensch"

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Copy-Welten notiert von Peter Schünemann
… Und so fühlte ich mich gerüstet, Michael Szameit zu hören, dessen Bücher ich zu DDR-Zeiten förmlich verschlungen hatte. "Alarm im Tunnel Transterra", "Im Glanz der Sonne Zaurak", "Das Geheimnis der Sonnensteine", "Drachenkreuzer Ikaros" - den meisten von euch dürften diese Titel ein Begriff sein und, wie ich vermute, auch für gute Unterhaltung stehen. Doch das Interesse für diese Lesung rührte bei mir vor allem daher, daß Szameit ein neues Buch vorstellen wollte, "Copyworld", entstanden zwischen 1985 und 1989 und auf Rat eines SF-begeisterten Freundes wieder aus der Schublade geholt. Vorsorglich hatte ich mir auch etwas Geld aufgehoben, denn das Werk sollte zu haben sein, nachdem Hardy Kettlitz und Gerd-Michael Rose sich um seinen Druck gekümmert hatten. Ich hielt es denn auch für einige Minuten in der Hand, und das war gut so, denn die Lesung selbst scheint mir wenig glücklich verlaufen zu sein - das heißt, die gelesene Stelle kam mir schlecht gewählt vor. Nun ja, der Autor sagte es selbst, daß seine letzte Lesung sieben Jahre zurückläge und daß er schon damals nicht unbedingt eine glückliche Hand bei solcherlei Auswahl gehabt habe. Kurz ein paar Worte zu "Copyworld", soweit ich der Handlung folgen konnte: In einem fiktiven Zukunftsstaat, dessen Abkürzung, schnell ausgesprochen, sich wie "DDR" anhört, gibt es für die Menschen kein größeres Glück, als in die virtuelle Realität eines Supercomputers (eben die Copyworld) eingehen zu können. Nur die Angehörigen einer kleinen Elite, die sogenannten "Märtyrer", die das Leben des Staates beherrschen, dürfen das nicht. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Märtyrer-Schüler Hyazinth, der sich, wie viele junge Leute, natürlich Gedanken um die Berechtigung des ganzen Systems und den Sinn seines Lebens macht. Es bekümmert ihn, nicht in die Copyworld eingehen zu dürfen, deren Möglichkeiten anscheinend phantastisch sind. Im wortwörtlichen Sinne sogar, denn im Buch gibt es neben diesem SF- noch einen Fantasy-Strang, der in der Copyworld spielt und sich um einen Diktator namens Derek dreht (Falschschreibung des Namens bitte ich zu verzeihen). Mit diesem Strang setzt das Buch ein, wie ich mich dank Hardys Freundlichkeit überzeugen konnte, der mich darin blättern ließ. Ich hatte nach der Lektüre der ersten Seiten den Eindruck einer konventionell, aber gut geschriebenen Fantasy-Handlung, und ich schätze, es wäre eine bessere Wahl gewesen, zuerst hieraus etwas vorzulesen, weil das die Zuhörer vermutlich mehr gefesselt hätte. Jedenfalls ich erhielt durch dieses parallele Lesen einen ganz guten Eindruck von "Copyworld", so daß ich nun doch überlege, es bei Hardy zu bestellen (obwohl 45 DM eine Menge Geld sind, könnte es sich lohnen). Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich während der Lesung selbst (die fast eine Dreiviertelstunde dauerte) einige Male mit meiner Müdigkeit kämpfen mußte. Aber wenn ich mich nach einem solchen Einnicken und dem Wiederaufschrecken vorsichtig umschaute, ob auch keiner meinen Lapsus bemerkt habe, sah ich, daß ein guter Teil des Publikums ihn gar nicht bemerken konnte - dreimal dürft ihr raten, warum. Darauf bezog sich dann wohl Michael Szameits verlegene Bemerkung, er hätte eventuell doch eine andere Stelle auswählen sollen ... Sei es, wie es sei: Bei der anschließenden Diskussion waren alle wieder munter und lauschten vergnügt Manfred Orlowskis Fragen und Szameits Antworten sowie den Fragen bzw. Kommentaren, die aus dem Publikum kamen. Da auch Erik Simon und Karsten Kruschel anwesend waren, führte die Diskussion immer weiter von "Copyworld" weg und immer mehr zum ewigen Dauerbrenner "SF und SF-Verlagswesen in der DDR" hin, was aber keinen störte, wie es mir schien. Michael Szameit antwortete auf alles sehr klar, ausführlich und mit viel Verve, so daß wir einen Eindruck von seiner Arbeit und seinem Leben damals und heute bekamen. Zur Zeit arbeitet er als Chefredakteur einer Anglerzeitschrift, was nicht die Erfüllung seiner Wünsche darstellt, ihn aber ernährt; er schreibt im Moment nicht, möchte aber einmal einen großen Antikriegsroman zu Papier bringen, sein Lebenswerk, wie er sagte; er bezeichnete sich mehrmals als einen überzeugten Pazifisten und einen, der Macht nicht über den Weg traue, denn sie verleite immer zum Mißbrauch. - Dieser Teil der Veranstaltung machte allen Spaß, und so trennte man sich ganz zufrieden.

Auszug aus dem Bericht "Impressionen vom 17. Buchmarkt in Leipzig"