"Der gläserne Mensch"

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Beleidigtes Winseln eines alten Köters
Michael Szameit

Das ist gar kein glücklicher Zeitpunkt für mich, etwas über SF zu kläffen. Ich habe nämlich die Schnauze voll von diesem Schwachsinn. Mir vergeht die Lust auf meinen Fressnapf, ich könnte um mich beißen, belle in ohnmächtiger Wut die taubstummen Zimmerwände an, wenn wieder einmal – zum wieviel tausendsten Mal eigentlich? – Laserblitze über den Bildschirm zucken und Feuerkugeln böse böse böse Aliens verschlingen. Ja, verdammt noch mal, woher nehmen die Schwachköpfe, die mich alten Köter mit diesem Mist traktieren, eigentlich die Vermessenheit, dem ganzen Universum zu unterstellen, es sei so entsetzlich blöde und barbarisch wie die Menschen?
Mir ist voll und ganz bewusst, dass ich mich jetzt wieder einmal unbeliebt mache. Aber auf die Sympathie von Leuten, die sich 25 Stunden am Tag mit masturbatorischem Eifer militante Trivialitäten reinziehen, pfeife ich was.
Mir bedeuten Menschen etwas, die vom Fliegen träumen – und nicht diejenigen, die lieber fliegende Träumer abschießen.
Obwohl wir SF-Autoren in der DDR uns nicht gerade mit literarischen Glanzleistungen hervortaten - bei aller Durchschnittlichkeit war den meisten doch eines gemeinsam: die humanistische Grundposition. Daran denke ich mit Wehmut zurück. Und es beleidigt mich zutiefst, wenn unser ehrliches Eintreten für diese Ideale als duckmäuserisch oder gar opportunistisch abgetan wird. Nicht gerade selten war ja allein Berufung auf überparteilichen Humanismus geeignet, im Verfechter solcher verdächtigen Gedanken einen "Feind" zu wittern.
Unsere Helden waren keine erbarmungslosen Killer, denen der Autor lediglich die gesetzeskonforme Lizenz zum Töten in die Hand drücken musste, in unseren Stories fielen die Aliens nicht wie zerquetschte Fliegen von der Wand, und selbst der gräßliche Klassenfeind war meistens dazu da, um zum einzig wahren Glauben bekehrt zu werden – und nicht, damit es für die Phaser der immer irgendwie rötelnden Edelmenschen auch genügend Zielscheiben gäbe. Und für die ganz Mutigen war der Feind ohnehin nicht irgendein vernunftbegabtes Sternenreptil, das Millionen Lichtjahre flog, um aus unerfindlichen Gründen die Menschheit plattzumachen. Die ganz Mutigen nutzten die Popularität des Genres, um Nachdenken über "Befindlichkeiten" (ich hasse dieses Wort, dessen Gebrauch bei uns so etwas wie die hartnäckige Versicherung war, einer geradezu überirdisch intellektuellen Elite anzugehören) anzuregen.
Nun wird natürlich irgend so ein Klugscheißer geschwind aus der Lauerhocke aufspringen und krähen: "Jaaa – ihr durftet doch keine kosmischen Gemetzel im vierten Quadranten toben lassen. Wegen der Zensur."
Da hat er nicht völlig unrecht. Aber er hat auch nicht absolut recht: Es gab durchaus einige öffentliche Anbetungen von Mord und Totschlag, denen man jedoch bestenfalls den Rang literarischer Entgleisungen zubilligen möchte. Sie hier zu erwähnen, würde ihrer überwältigenden Bedeutungslosigkeit nicht gerecht.
Ich denke, es war eher so, dass erwachendes Problembewusstsein und zunehmende Unzufriedenheit mit den Abartigkeiten des realen Sozialismus den Autoren - etwa ab Mitte der 70er Jahre – andere Themen diktierten. So kamen wir gar nicht ernsthaft in Versuchung, per Stirngeburt die Sau zu kreißen, die in jedem Menschen grunzt.
Zu beklagen ist lediglich, dass wir - alle, ausnahmslos – die uns in die Hand gefallene Macht des Wortes viel zu unentschlossen und zaghaft gebrauchten. Wir drucksten ängstlich ein paar nebelhafte Anspielungen hervor und warfen uns dann in die Brust, als hätten wir soeben dazu aufgerufen, Honeckers Bande zu teeren und zu federn. Das war einfach lächerlich. Voller Scham bekenne ich es.
Und doch haben wir damals mehr in den Köpfen unserer Leser bewegt als uns die längst in Geschichtsfälschung entartete "DDR-Vergangenheitsbewältigung" je zugestehen wird.
(Wie der Zufall es will: Gerade kam ein Kollege in mein Büro, und wir diskutierten eine halbe Stunde über Lem. Ich schreibe diese Zeilen nämlich heimlich auf meinem Redaktionscomputer, weil ich zu Hause regelmäßig ein Opfer meiner mit dem Alter exponentiell wachsenden Faulheit werde. Naja, Lem … da ist es mir jetzt fast schon peinlich, weiter über DDR-SF schreiben zu müssen. Das ist, als würde man beim Weihnachtsoratorium in der Nase bohren …)
Ein Leserbrief von Claudia-Anna Kakuschke aus Rostock hat mich mit vielen Enttäuschungen der Nachwende-Jahre versöhnt: " … Nach ungefähr einem Jahr habe ich es dann wieder in einer Bibliothek gesehen … Nun habe ich es mir immerzu ausgeliehen, abgegeben, ausgeliehen, abgegeben … Ich habe dann alle Läden abgeklappert … Naja, vor einem halben Jahr habe ich es dann getan: Ich schnappte mir Ihr Buch (in der Bibliothek – d.A.) und steckte es unter meine Jacke … Ich musste es einfach tun …"
Liebe Claudia-Anna, bitte verzeihen Sie diesen Vertrauensbruch. Ich verspreche Ihnen, dass ich gegebenenfalls sämtliche Gerichts- und Schadensersatzkosten übernehme. Aber ich musste diese rührende Episode einfach erzählen. Dass dieses Buch Sie über einige – wichtige – Jahre Ihres Lebens hinweg wie ein guter Freund begleitete, hat mich viel glücklicher gemacht als sechsstellige Auflagenzahlen und wohlwollende Rezensionen. Hätte ich dieses Buch nur für Sie allein geschrieben, es wäre der Mühe wert gewesen!
Das mag nun wie das Schnurren ein Katers klingen, dem jemand die Ohren krault. Aber alte Köter schnurren nicht – ich begehe diese schändliche Indiskretion aus einem anderen Grund: Sie soll zeigen, wie nahe wir unseren Lesern damals waren. Offenbar war unser Einfluss auf das Denken von immerhin einigen Hunderttausend DDR-Bürgern viel größer als wir zu vermuten wagten. Doch wir scherten uns viel zu wenig um die daraus erwachsenden Pflichten.
Diese Chance haben wir vertan. Das bedrückt mich.
Denn jetzt ist es zu spät.
Das Trommelfeuer aus allen medialen Rohren hat die humanistischen Ideale, die der Diktatur einst zäh widerstanden, längst in Stücke geschossen. Und auf die umherflatternden Fetzen ballern unsere Kids an ihren Nintendo-Konsolen.
Wir dürfen nur noch die Zielscheiben aufstellen.
Zum Kotzen.

Quelle: 100 Zeilen zur DDR-SF: Skeptische Blicke rundum" In: Lichtjahr 7 [1999] Freundeskreis SF Leipzig e.V.